Grün in der Stadt: Glauchau schafft Lebensräume für Mensch und Natur
Herzlichen Glückwunsch! Glauchau hat als eine von 14 Kommunen in ganz Deutschland das Siegel „Stadtgrün – naturnah“ erhalten (Bronze). Ausgezeichnet wurde vorbildliches Engagement in Sachen naturnaher Grünflächengestaltung – zum Beispiel durch extensive Pflege, Anlage von Wildblumenwiesen, Verwendung heimischer Gehölze und Verzicht auf Pestizide. Begleitet wurden alle Aktivitäten durch Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit (u.a. Presseartikel und Ausstellung im Rathaus) und Umweltbildung (Praxisaktionen).
Täglich wird in Sachsen eine Fläche von 4,3 Hektar, etwa 6 Fußballfelder, neu versiegelt. Im Vergleich: Bundesweit sind es ca. 76 Hektar bzw. 100 Fußballfelder. Für viele Pflanzen- und Tierarten wird der Lebensraum immer knapper, insbesondere in der offenen Agrarlandschaft. In Siedlungsbereichen sind betonierte Wohnsiedlungen und die intensive Pflege privater sowie öffentlicher Flächen ein Problem.
Naturnahe, innerstädtische Grünflächen stellen für viele Arten mittlerweile wichtige Ersatzlebensräume dar. Parks, Gärten, Bäche, begrünte Fassaden und Dächer, Straßenbegleitvegetation oder Friedhöfe können vielen Arten ein Zuhause bieten. Der Landkreis Zwickau ist mit 339 Einwohnern pro Quadratkilometer der am dichtesten besiedelte aller neuen Länder – jede Menge Handlungsspielräume für biologische Vielfalt in Kommunen!
Im Rahmen des Projekts „Stadtgrün naturnah“ ist Glauchau auf dem Weg, eine Vorreiterrolle bei der Schaffung von städtischen Lebensräumen in der Region einzunehmen. Als eine von bundesweit 15 Kommunen wurde die Stadt im Mai 2018 vom Bündnis „Kommunen für biologische Vielfalt“ für die Teilnahme am einjährigen Labeling-Verfahren ausgewählt. Honoriert werden beispielsweise die Verwendung heimischer Arten bei der Baumpflanzung oder die Anlage von Blühwiesen im innerstädtischen Bereich. Die umgesetzten und geplanten Maßnahmen entscheiden am Ende, ob Glauchau das Label in Bronze, Silber oder Gold erhält. Das Label wird für jeweils drei Jahre vergeben. Anschließend muss es durch eine Rezertifizierung erneuert werden.
Warum der Aufwand sich doppelt lohnt: Wissenschaftliche Studien zeigen, dass die Gesundheit und Zufriedenheit von Menschen höher ist, wenn sie näher am Grünen leben. Grün- und Freiflächen im Siedlungsbereich sorgen nicht nur für saubere Luft und kühlere Temperaturen an heißen Sommertagen. Besonders Kinder können hier ihren Drang nach Entdeckung und Abenteuer ausleben. Naturnahe Gestaltungsformen setzen jedoch häufig ein Umdenken in Verwaltung, Politik und Bürgerschaft voraus. Ein Umdenken, das Glauchau mit der Teilnahme am Projekt eingeleitet hat.
Das Projekt ist als mehrstufiger Prozess konzipiert, an dem sich ebenfalls die Kreisnaturschutzstation, der Imkerverein Glauchau und Umgebung e.V., der Regionalverband der Gartenfreunde Werdau/Glauchau e.V. sowie Vertreter*innen der Stadtrats-Fraktionen Die Linke und CDU beteiligen.
Ein Meilenstein war der generelle Verzicht auf Glyphosat bei der Flächenpflege. Als Alternative wurde ein Heißwassersystem erprobt und im gesamten Stadtgebiet etabliert. Der Bauhof betreibt zudem seit Projektstart auf einigen Flächen, u.a. Teilbereiche im Gründelpark, am Radweg Röhrensteig, am Karlsweg und im Carolapark, eine sogenannte Teilmahd. Dabei werden wegbegleitende Wiesenbereiche weiterhin bis zu 5 mal im Jahr (konservativ), der Rest der Fläche nur noch 1-2 mal im Jahr gemäht (extensiv). Diese Flächenmahd erfolgt gestaffelt, um konstant einen Lebensraum sicherzustellen. Es wird zudem erst spät gemäht, um den Pflanzen die Chance zu geben, ihre Samen zu verbreiten.
An die Schaffung von „wilden Ecken“ anstelle „aufgeräumter englischer Rasen“ muss sich unser Auge erst gewöhnen. Begleitet wird das Projekt daher durch eine Kampagne, mit der vor Ort durch Poster, Flyer und Infotafeln für mehr Akzeptanz naturnaher Gestaltungsformen geworben und ein zeitgemäßes Naturverständnis der Stadtbewohner gefördert wird.
Als Naturschützer von morgen haben auch Kindergruppen aus Kitas, Grundschulen, Oberschulen und Gymnasien kräftig angepackt. Unter Anleitung der Kreisnaturschutzstation wurden Schmetterlingswiesen in der Nähe oder auf dem Gelände der Einrichtungen angelegt. Spielerisch haben die Kinder und Jugendlichen auf diese Weise mehr über Schmetterlinge und Co. erfahren und gelernt, wie artenreiche Wiesen entstehen und warum sie so wichtig sind.
Als Träger der Kreisnaturschutzstation hat der Landschaftspflegeverband „Westsachsen“ e.V. bereits Erfahrungen in der Anlage von Blühflächen mit einheimischem Saatgut. Im Rahmen der sachsenweiten Mitmachaktion „Puppenstuben gesucht – Blühende Wiesen für Sachsens Schmetterlinge“ werden seit 2015 Praxisseminare zur Umwandlung von Grünflächen zu Blühflächen sowie zur insektenfreundlichen Bewirtschaftung von Wiesen organisiert. Der LPV hat die praktische Wiesenpflege zudem auf mehreren Teilflächen im Stadtgebiet im Rahmen des Puppenstuben-Projektes bis 2020 übernommen. Die Kinder begleiten das Geschehen auf den selbst angelegten Biotopen weiter.
Wie kann ich helfen? Bereits kleine, kostengünstige Maßnahmen wie die Verwendung heimischer Arten bei der Neuanlage von Hecken, Wiesen oder Beeten, können große Effekte bewirken. Exotische Sträucher sind für die heimische Fauna hingegen nahezu wertlos. Sicherlich findet sich bei jedem ein Fleckchen Rasen, das in eine artenreiche Wiese verwandelt werden könnte. Die Zeit, die fürs Rasen mähen „drauf“ geht, kann dann im Liegestuhl beim Beobachten der Hummeln, Schmetterlinge und Bienen verbracht werden. Auf automatische Rasenmäher sollte verzichtet werden. Auch auf dem Balkon ist so einiges möglich.
Weitere Infos zum Projekt:
https://www.stadtgruen-naturnah.de/home/
https://www.glauchau.de/glauchau/content/9/20180611134404.asp
Hintergrund: Das große Insektensterben
Die „Krefelder Studie“ zum anhaltenden Insektensterben hat vergangenes Jahr für Schlagzeilen gesorgt. Die Wissenschaftler belegen einen Bestandsrückgang flugaktiver Insekten von 76 % innerhalb der vergangenen 30 Jahre – hauptsächlich Hautflügler, Fliegen, Käfer und Schmetterlinge. Dadurch gerät die gesamte Nahrungskette ins Wanken: Pflanzen werden nicht mehr bestäubt, Vögeln, Fledermäusen und vielen anderen Tieren fehlt die Nahrungsgrundlage.
Für die Land- und Forstwirtschaft und damit für die Lebensmittelproduktion sind Insekten unverzichtbar, weil sie zentrale Funktionen wie Bestäubung, natürliche Schädlingsbekämpfung und Erhaltung der Bodenfruchtbarkeit erfüllen. Allein der monetäre Wert der Insekten-Bestäubung liegt in Europa bei über 14 Milliarden Euro pro Jahr.
Dabei sind Lösungswege aus diesem Dilemma bekannt: Extensivierung der Landwirtschaft, Verzicht auf Gifte wie Pestizide, Herbizide und Neonicotinoide sowie Abkehr von Monokulturen auf unseren Äckern.